Amrei Korte arbeitet als selbständiger Ernährungscoach in München. Zuvor leitete sie einige Jahre eine Kochschule in Barcelona. Dort hat sie der sehr unmittelbare Kontakt und Zugang zu den Lebensmitteln, zu ihren Farben, ihrer Vielfalt und ihrem Geschmack, beeindruckt. Als Coach geht sie auf diese Erfahrungen ein und lässt auch die emotionalen Aspekte des Essens stark in ihre Arbeit einfließen. Gemeinsam mit Nicolas Ting und Dr. Bettina Dörr berät sie die Aktion Kleinkind-Ernährung in allen Fragen rund um das Thema Familie und Ernährung.
Ein Gespräch über die Rolle des Bauchgefühls beim Essen, Marktbesuche mit Kindern und den Umgang mit mäkeligen Essern
Was bedeutet für dich gute Ernährung?
Gute Ernährung ist für mich in erster Linie etwas sehr Individuelles. Daher gibt es die eine „gute Ernährung“ in meinen Augen nicht. Ich halte nichts von strikten Regeln oder Vorgaben. Für mich ist gute Ernährung die, die zu mir passt, die mir Genuss und Wohlbefinden bereitet, die mich nährt und optimal versorgt, die mir gut bekommt und auf die ich Lust habe.
Zu einer guten Ernährung gehören für mich auch gute Gesellschaft, eine entspannte Atmosphäre, und am besten ein schön gedeckter Tisch. Ich finde es sehr wichtig, dass gerade Kinder nicht alleine essen müssen. Feste Tischzeiten und -rituale, sowie ein angenehmes Umfeld geben den Kindern nicht nur Struktur, sondern können ihre Essgewohnheiten nachhaltig prägen.
Und wie ernährst du dich selbst?
Für mich persönlich heißt „gute Ernährung“, mir Zeit zum Kochen und Essen zu nehmen, bewusst zu genießen, und dafür möglichst unverarbeitete, frische Lebensmitteln zu verwenden, viel Obst und Gemüse, Vollkornprodukte, Hülsenfrüchte, Nüsse, guten Käse, ab und zu auch Fisch oder Fleisch, von denen ich gerne weiß, woher sie kommen, und auch mal ein Glas Rotwein zum und ein Stück dunkle Schokolade nach dem Abendessen.
Gibt es denn Unterschiede zwischen Kindern und Erwachsenen, und auf was sollte man als Eltern generell achten?
Ein großer Unterschied zwischen Kindern und Erwachsenen ist, dass der Geschmack von Kindern noch empfindlicher ist. Sie nehmen Geschmäcker sehr viel intensiver wahr als Erwachsene. Scharf ist dadurch oft schnell viel zu intensiv, auch schmeckt es ihnen oft schnell zu salzig, zu bitter und zu sauer.
Lediglich bei Süßem scheint es kaum Grenzen zu geben. Das ist allerdings eine natürliche Veranlagung und liegt in der Natur des Menschen – schließlich sind süße Speisen in der Regel hochkalorisch und somit wertvolles „Futter“, das unser Überleben sicherstellt. Süß waren zu Urzeiten die reifen und somit bekömmlichen Früchte, die Vorliebe dafür ist also eine logische Prägung für eine sinnvolle Nahrungsauswahl. Zudem werden wir schon durch die Muttermilch auf süß getrimmt und diese Vorliebe schwächt erst über die Jahre etwas ab – und bleibt bei vielen ein Leben lang bestehen.
Neben dem milden Geschmack sollte Essen für Kinder ansprechend aussehen, da bei ihnen das Auge noch mehr mitisst als bei Erwachsenen. Kleinkinder brauchen außerdem verhältnismäßig mehr Flüssigkeit als Erwachsene und können sich an sehr harten Lebensmitteln wie Nüssen leicht verschlucken.
Sehr schwer verdauliche und fette Speisen gehören nicht auf den Speiseplan von Kleinkindern. Zu empfehlen ist also eine abwechslungsreiche Mischkost, eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr (mit zuckerfreien Getränken!), sowie eine ausgewogene Verteilung der Mahlzeiten. Abwechslung und Vielfalt so weit dies möglich ist. Und natürlich ganz wichtig: Es sollte den Kindern schmecken.
Geht mit den Kindern auf den Markt und zeigt ihnen immer wieder neue Lebensmittel! Fragt sie, worauf sie Lust haben, bindet sie in die Entscheidung, was auf den Tisch kommt, ein. Das öffnet ihre Sinne und erweitert ihren Horizont.
Du hast einige Jahre in Barcelona gelebt und dort eine Kochschule geleitet – wie kochen denn spanische Eltern für ihre Kinder?
Eigentlich nicht viel anders als auch für sich selbst. Die mediterrane Kost mit viel frischem Obst und Gemüse, Fisch und Olivenöl ist tatsächlich sehr verbreitet. Aber auch in Spanien stehen viele Familien unter finanziellem und zeitlichem Druck und sehr häufig greifen die Eltern auf Fertigprodukte und -snacks zurück.
Dennoch habe ich das Gefühl, dass Kinder einen einfacheren Zugang zu den unterschiedlichsten Lebensmitteln haben. Das kommt unter anderem daher, dass es in jedem Viertel Märkte gibt, auf denen viele Menschen für den täglichen Bedarf einkaufen. Und selbst jeder kleine Supermarkt hat eine Theke mit frischem Fisch.
Auch daher mein Tipp: Geht mit den Kindern auf den Markt und zeigt ihnen immer wieder neue Lebensmittel! Fragt sie, worauf sie Lust haben, bindet sie in die Entscheidung, was auf den Tisch kommt, ein. Das öffnet ihre Sinne und erweitert ihren Horizont.
Du arbeitest mit einem Begriff namens „Somatische Intelligenz“ – was ist das denn genau?
Die Somatische Intelligenz beschreibt unsere Fähigkeit, die Signale und Bedürfnisse unseres Körpers zu hören, sie zu verstehen und auf sie einzugehen. Manchmal tun wir das unbewusst, beispielsweise wenn wir nachts schlafen und uns automatisch drehen und bewegen, um keine Druckstellen zu bekommen. Auch beim Thema Essen sind uns Körpersignale wie Appetit oder Ekel wohl bekannt. Allerdings sind wir inzwischen so sehr beeinflusst von Informationen aus den Medien, von der Gesellschaft und Gewohnheiten, dass es schwerfällt, die Signale und Bedürfnisse des Körpers wirklich zu hören und konsequent mit ihnen umzugehen.
Hast du ein konkretes Beispiel?
Wie oft essen wir, weil halt gerade Mittagspause und somit Essenszeit ist, weil etwas angeblich gesund ist, obwohl wir schon satt sind, oder verbieten uns etwas, wonach uns gelüstet? Wir vertrauen mehr auf die sich ständig ändernden und höchst verwirrenden Empfehlungen in den Medien, statt darauf zu achten, was uns unser Bauch und unsere Stimmung nach einer Mahlzeit zurückmelden.
Bei Babys ist die Somatische Intelligenz noch intakt. Sie können sich nicht über- oder unteressen. Werden sie überfüttert, ergeben sie sich und wenn sie nicht genug haben, schreien sie so lange, bis sie etwas bekommen. Doch relativ schnell werden wir im Kindesalter dahin erzogen, auf anderes als unseren Körper zu hören. „Iss den Teller leer, sonst wird das Wetter schlecht“, „Was auf den Tisch kommt, wird gegessen“, „Obst ist gesund“ und so weiter. Das bedeutet, wir lernen weiterzuessen, obwohl wir schon satt sind, Speisen zu verzehren, die wir nicht mögen, und beispielsweise Obst zu essen, obwohl wir es eventuell gar nicht vertragen. Hören wir dagegen auf unseren Körper, werden sämtliche andere Regeln und Diätvorschriften schnell überflüssig.
Und wie arbeitest du damit?
Ich verbinde in meiner Arbeit Methoden für das Training der Somatischen Intelligenz mit denen des systemischen Coachings. Für mich fließen hier viele Dinge zusammen. Denn neben den genannten, anerzogenen Verhaltensmustern beim Essen spielen auch die emotionalen Faktoren und unser Umfeld eine große Rolle. Wer hat nicht schon mal gegessen, weil er gestresst, gelangweilt oder einsam war oder sich belohnen wollte? Wer isst tatsächlich nur, wenn er wirklichen physischen Hunger hat und hört immer dann auf, wenn er satt ist?
Kinder wissen in der Regel – und wenn man sie lässt – ziemlich genau, was sie brauchen und holen sich das auch.
Hast du einen Tipp für Eltern, deren Kinder besonders kritische Esser sind?
Das sagt sich sicher leicht, aber mein erster Tipp ist der, sich zu entspannen. Kinder wissen in der Regel – und wenn man sie lässt – ziemlich genau, was sie brauchen und holen sich das auch. Müssten sie ihren Bedarf über Obst und Gemüse decken, würden die Mengen gar nicht in ihre kleinen Mägen passen.
Die Lust auf Pasta, Pizza und Pommes ist somit auch einfach ein natürliches Bedürfnis. Meistens pendelt sich der Geschmack nach und nach ohnehin ein und sie beginnen mit zunehmendem Alter, immer mehr zu mögen, zu probieren und zu essen. Meine Beobachtung ist: Je entspannter die Eltern mit dem Thema Essen umgehen, umso entspannter sind auch die Kinder. Je strenger die Regeln und stärker die (manchmal verkrampften) Wünsche der Eltern, desto stärker der Drang der Kinder nach dem Gegenteil.
Aber wie mache ich das in der Praxis, wenn das Kind schreit, sobald ein Fitzel Gemüse auf dem Teller liegt?
Auch besonders kritischen Kindern würde ich immer wieder Neues anbieten, sie zum Probieren animieren, aber nichts erzwingen. Am Anfang kann es helfen, grüne Lebensmittel wegzulassen und erst einmal mit „sanfteren“ Farben und Sorten wie Karotten, Tomaten oder Paprika einzusteigen. Nach und nach wird sich sicher das ein oder andere finden, was dem Kind schmeckt und jedes einzelne Gemüse oder Obst, das akzeptiert wird, kann als Erfolg gefeiert werden.
Und auch bei Gerichten wie Pizza und Pommes haben wir die Wahl zwischen einem Convenient-Tiefkühlprodukt, das wir schnell in den Ofen schieben, oder beispielsweise einer selbst gemachten und von den Kindern belegten Pizza oder selbst hergestellten Kartoffelspalten.
Falls alles nichts bringt, muss man kreativ werden und Süßkartoffeln in den Muffinteig schummeln, Bananen in den Pancake und rote Bete in den Brownie oder pürierte Karotten in die Tomatensoße für die Nudeln. Es gibt inzwischen viele tolle Blogs, Apps und auch Kochbücher, um sich hier inspirieren zu lassen und leckere Rezepte zu finden.
Dein witzigstes Erlebnis rund um das Thema Essen?
Ich habe vor einigen Jahren in England gelebt und dort in einem Hotel gearbeitet. Die Kantine für das Personal war wirklich schlecht, die Schichten aber umso heftiger und sehr kräftezehrend. Dann habe ich mich in einen der Köche verliebt, der mir dann immer Leckereien aus der Küche zugeschoben hat. Wir haben sehr gelacht und uns diebisch gefreut über die heimlich verzehrten, noch warmen, und köstlich duftenden Mandelcroissants, den frischen Obstsalat oder die für Hochzeiten zubereiteten Hummer-Terrinen, Spargel-Quiche-Teilchen, und Crevettencocktails… Ja, und diesem Koch bin ich dann in seine Heimat Barcelona gefolgt. Liebe geht eben tatsächlich durch den Magen!